Freitag, 1. Juli 2011

Angst

Es war in der Umkleidekabine, mein Blick in den Spiegel.
Dann ging es wieder los. Das Atmen wird schwerer. 
Keine Luft, ich kriege keine Luft. 
Der Blick in den Spiegel. Mein Gesicht quillt auf.
Meine Beine, mein Bauch, meine Arme. 
Hässlich. Es ist so hässlich. Ich bin so hässlich geworden.
Und hässlich, kommt das eigentlich von hassen?
Atmen, atmen, Luft holen, ein, aus, Luft!, Luft!, Angst, Atem, Stille.
Ich sehe zu, wie ich verschwimme. Mich verschiebe und rund werde.
Was ist wahr? Bin das ich? Bin ich das? Bin ich immer so?
Warum sehe ich mich manchmal so, und manchmal ganz anders?
Fett. Mein Gesicht so rund. Da ist überall Fett. Nur Fett. Überall. 
Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Warum?
Atmen! Atmen! Leiser. Ruhiger. Jetzt. Aufhören. Bitte. 
Weiß und aufgedunsen. Meine Beine. Meine Arme.
Meine Augen leer. Zwischen Falten versteckt.
Ich will nicht wieder hinausmüssen. Ich will nicht, das mich irgendjemand sieht.
Niemand darf das sehen. Niemand darf das sehen, was ich geworden bin.
Was aus mir geworden ist. Ich will nicht. Ich will nicht mehr.
Ich will das nicht sein müssen.
Lügt der Spiegel? Oder belüge ich mich, Tag für Tag?
Ich hole Luft, ohne aufatmen zu können.
Wie spät? Wie spät ist es? Zahlen. Da. Was? Neunzehnuhrsiebenundvierzig.
Nichtmehrlange. Noch dreizehn Minuten. 
Ich setze einen Schritt aus der Kabine. Es kostet viel Kraft, zu gehen, und nicht zu rennen.
Nicht zu weinen. Nicht zu schreien. Nicht umzudrehen.
Kleidung an den Haken. Wahllos neue sammeln. 

Größe - egal. Farbe - egal. Egal, alles egal. Ich brauche nur einen Grund. 
Zurück in die Kabine. Verstecken. Atmen. Puder. Rouge. Wimperntusche.
Es wird nicht besser. Ich sehe noch immer mein Gesicht.

Das bin nicht ich. Jetzt schon. Was ist passiert?
Warten. Warten. Angst. Hass. Ekelhaft, es ist ekelhaft, ich bin ekelhaft.
Die Wand, mein Kopf, die Wand, mein Kopf. Tut nicht weh.
Neunzehnuhrsechsundfünfzig. Noch vier Minuten. Noch vier! Nur vier!
Ich kann so nicht hier raus. Ich kann das nicht. Nicht so.
Ich kann nicht. Ich muss. Neunzehnuhrachtundfünfzig. 
Stille. Angst. Atmen! Atmen! Atmen!
Neunzehnuhrneunundfünfzig. Nein! NEIN! NEIN!
Zwanziguhr. Zwanziguhr. Zwanziguhr. Raus.
Kleidung abhängen.
Nicht rennen. Jetzt nur nicht rennen. Gehen. Langsam.
Den Kopf oben. Niemand darf diesen Hass sehen.
Kopf hoch! Kopf hoch! Gerade laufen! Lächeln! Langsamer! Nicht so schnell!
Es tut so weh, nicht zu rennen. Angst. ANGST! Diese Blicke.
Sie starren mich an. Nicht hinsehen! Jetzt schauen sie rüber. Nicht hinsehen!
Gelächter. Ich schäme mich. Ich will das nicht. Nicht so sein.
Hass. Hass. Hass.
Jeder Schritt so schwer. Nicht zurück! Vorwärts. Schritt für Schritt. 
Angst. Ich bin ausgeliefert. Ich kann nicht entkommen. Kann nirgends entkommen.
Raus hier. Sofort. Die Sonne scheint noch. So hell. Ich bin gut ausgeleuchtet.
Blicke. Überall Blicke. Ich hasse mich. Nein. Nein. Seht mich nicht an.
Ich habe Angst. Vor allem. Vor jedem.
Vor den Blicken. Diesen Blicken. Den betrunkenen Pfiffen.

Seht mich nicht an. 
Ich kann mich nicht verstecken. Nicht verschwinden.
Licht. Warum nur Licht? Ich will nicht. Ich will Nacht.
Ich will mich nicht. Angst. Atmen! Atmen! Angst. Blicke.
Nicht rennen, jetzt nur nicht rennen. Matschig braun. Klebrige Erde.
Betrunkene Rufe. Nein. Nein. Ich will das nicht. Lasst mich.
Seht mich nicht an. Ich bin nicht deine Süße. Ich bin hassenswert.
Seht mich nicht an. Seht mich nicht an.
Angst. Nur Angst. Ruhig laufen. Überall Augen. 

Ich kann nicht. Ich kann nicht mehr.
Ich kann nicht mehr.
Ich schäme mich so sehr.
Warum seht ihr mich an?
Ich schäme mich, hasse mich. Hass. Hass und Angst.
Die Straße. Die Kreuzung. Menschen, überall Menschen. 
Sie lauern und lachen. Und überall Fenster. Spiegel.
Diese Welt ist voller Spiegel. Und überall nur ich. So fett.
So fett und widerlich. Ekelhaft.
Ich habe Angst. Wovor? Wovor?
Ich weiß nicht.

Vor allem.
Ich will nicht, das mich jemand so sieht.
Nicht so, wie ich bin. Nicht so. Ich will nicht. So hässlich.
Da ist nichts schönes. Nur Fett und Hass. 
Ich kann nicht mehr. Ich renne. Ich renne nicht.
Den Kopf hoch. Atmen. Atmen. Angst und Blicke. Stille. Angst. Hass.
Es tut weh, jetzt nicht zu rennen.
Ich will nur verschwinden. Niemand darf mich so sehen.
Niemand darf mich so sehen. Ich habe keine Wahl. Angst.
Gemessenen Schrittes. Langsam und aufrecht. Angst. ANGST!
SEHT MICH NICHT AN!
Ich kann nicht mehr.
Ich kann nicht mehr.

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