Dienstag, 20. September 2011

Zittergedankengewitter.

In mir ist es unruhig. Ich sehe raus, ich sehe auf meine Hand. Draußen wehen Blätter, hier drinnen meine Finger. Unruhig hin und her, auf und ab. Einen Satz zu schreiben kostet höchste Anstrengung und mindestens vier oder fünf Anläufe.  Irgendwo in meiner Brust ist irgendetwas, oder vielmehr ist nichts. Meine Hand zittert, mein Herz zittert, ich zittere. Ganz leicht nur, fast unmerklich. Nicht zu übersehen. Mein Fuß wankt unschlüssig auf und ab. Auf den Beinen stehe ich nur ganz wackelig. Es geht mir nicht schlecht. Es geht mir nicht gut. Mein Kopf ist ganz voll. Und eigentlich ganz leer. Ich zittere. Innerlich. Äußerlich.

"Anna, deine Hand zittert."
"Oh, was, oh, stimmt."
"Anna, ist alles in Ordnung?"
"Ja, sicher, wieso?"
"Weil du so unruhig bist."
"Bin ich das?"
"Dein Bein."

Ich zittere. Das waren deine Worte gewesen. Und ich habe den Tee in meiner Hand gehalten. Und getrunken. Und mich leise abgewendet. Ganz stumm habe ich in meinen Tee geblickt. Und du in deinen. Und dann hast du mich angesehen. Und ich habe mein Bein angesehen. Habe versucht es still zu halten. Und mit einer Hand ist es doch wieder passiert. Dann hatte ich Blut an den Fingern. Denn ganz unmerklich, so ganz unmerklich habe ich wieder fast Verheiltes aufgekratzt. Heute bist du nicht da. Heute zittere ich allein. Und denke an deine Worte. Ganz leise. Ganz sacht. Und wie ich versucht habe, es zu verbergen. Und es nicht geschafft habe. Nicht einmal einen Abend lang. Und du hast mich angesehen, ganz mitleidig. Und ich, ich habe gezittert. Mit abgewandtem Gesicht. Und habe meine Haare über meine Augen fallen lassen. Und den Schatten über meinen Mund.

"Anna, ich würde dir gerne helfen. Und wenn du mal wieder Zeit hast, ehrlich, ich freue mich. Ich bin so erleichtert, dich endlich mal wieder zu sehen. Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich habe schließlich drei Wochen lang nichts von dir gehört."

Ich zittere. Ich zittere. Meine Knochen schlagen aneinander. Klackern leise über die Tastatur. Mein Herz pocht atemlos. Die Gelenke knarzen leise. Leise und stetig. Mein Fuß hält nicht still. Ich halte ihn still. Halte mich still. Atemlos. Zittere ich innerlich weiter. Kann nicht sagen. Nicht sagen. Ist das Angst? Ist das Stille? Weiß nicht. Ich weiß nicht. Ich merke nur. So unruhig. Gedanken kaum zu fassen. Springen. Von Ort zu Ort. Sehnsucht. Und dann ein Zucken. Nur dieses Ziehen. Sehnsucht. Ich bin unruhig. Nicht mehr und nicht weniger. Und das so sehr, dass es fast wehtut. Aber es geht mir nicht schlecht. Ich würde nur gerne wieder atmen. Luft holen. Doch dazu komme ich nicht.

"Wie ist es eigentlich für dich, unterwegs zu sein?"
"Inwiefern?"
"Jetzt, wie geht es dir?"
"Ich weiß nicht. .. Ich bin.. unruhig. Es ist schwer. Es ist anstrengend."
"Was ist anstrengend?"
"Ich.. ich weiß nicht."

Meine Hand. Wandernd, taumelnd, stolpernd. Meine Gedanken mehr Blitze als Worte, als Sätze, als Texte, als Sinn. Zitternd, wie ich. Das Loch in mir ist wieder da. Heute ganz groß. Kurz unter dem Herzen. Kurz über dem Bauch, auf den ich hören soll. Eingeklemmt irgendwo zwischen den Lungenflügeln. Antreibend, forttreibend. Sehnsucht. Atemlos, Atemnot, Stillstand. Ich zittere. Ich zittere. Ganz plumb meine Finger. Ich schnappe nach Luft. Mit den geöffneten Händen fast mehr als mit dem Mund. Unzusammenhängend. Mein Bein schlägt auf und ab. Mein Knie zittert. Zittert. Ich zittere. 

"Du siehst heute wieder so schick aus. Ach, das sieht so schön aus, ehrlich. Ich freue mich so, dich endlich mal wieder zu sehen. Ach, Mensch, du siehst fabelhaft aus!" 

Meine Lippen fest geschlossen. Mein Gesicht bedeckt. Noch immer traue ich mich nicht ungeschminkt aus dem Haus. Das Loch weitet sich. Zieht sich wieder zusammen. Zieht mich zusammen. Ich habe vergessen, wie man weint. Ich schnappe nach Luft. Mein Gesicht verzerrt sich, verirrt sich in seltsamen Masken. Ich starre in den Spiegel mit meinen leeren Augen. Und den blassen, schmalen Lippen. Tag für Tag werde ich weißer. Wird meine Haut kahler. Manchmal habe ich Angst. Morgens, wenn ich in den Spiegel schaue, manchmal. Weil es so leblos aussieht. Leichenhaft. Und jeden Tag blasser. Ich schlafe. Eigentlich. Ich schlafe. Und wache auf. Und mein Kopf ist schwer. Mein Kopf ist leer. Mein Kopf ist beides. Alles ist manchmal vielleicht einfach zu viel. Dann vergesse ich einfachste Sachen. Dann fallen die Dominosteine, Stück für Stück für Stück. Bis alle Stricke reißen. Marionette. Bruchstücke. Mein Bein zuckt. Schnitt. Leere. Wie taub. Ich sitze. Ganz aufrecht. Und halte den Tee in meinen Händen. Wie heute, wie damals, wie immer. Presse ich die Finger an die Tasse und die Tasse an den Mund. Fahre durch meine Haare. Meine Lippen sind ganz trocken. Meine Haut auch. Spannt so sehr.

"Du schläfst nicht besonders gut, oder?"
"Ich schlafe wieder durch, meistens."
"Ja, aber du schläfst nicht gut,.. oder? Wachst du erholt auf?"
"Ich wache müde auf."
"Man sieht es dir an, weißt du? Morgens, man sieht es dir an, 
wie schwer es ist."

Und ich lächel und nicke. Und ich zittere. Und habe vergessen, wie man weint. Ich japse nur, ganz leise. Nach Träumen und Luft und dir vielleicht. Sehnsucht. Und bin ganz wackelig auf den Beinen. Kann mich kaum halten, schwanke. Ich will nicht. Mein Gesicht krümmt sich wie mein Rücken, so sehr. Meine Haut reißt fast. Sie ist fast wie Papier, so weiß. Irgendetwas fehlt. Farbe, vielleicht. Oder Leben. Oder Tränen. Ich zittere. Wann habe ich das letzte Mal geweint? Gar nicht lange her. Ein paar Tropfen. Erstickte, einsame. Zu irgendeinem Lied in irgendeiner Nacht. Und davor? An irgendeinem Tag zu irgendeinem Bild. Manchmal vor Scham und manchmal vor Hass. Aber immer nur dieses erstickte Krächzen. Bei dem man sich ganz zusammenzieht. Aber nicht zusammenbricht. Bei dem man fast fällt. Aber sich nicht fallen lässt. Irgendwann, irgendwie. Alles verschwimmt. So lange und so allumfassend. Bis nichts bleibt in mir. Außer dem Zittern und dem "Ich weiß es nicht". Tränenlos. Nur noch nach Luft schnappend. Atemlos, Stille, Nichts. Ich zittere. Sehnsucht.

Und dieses Loch in mir, manchmal trägt es deinen Namen.

[Auszüge aus Gesprächen mit M., S., und V.]

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