Donnerstag, 28. Juli 2011

Zwischenweltendasein

Ich kann nicht schlafen. Das ist eigentlich nichts Neues. 
Ich kann nicht schlafen.

Seit Tagen nicht, und meine Augenringe werden tiefer, meine Lippen blasser, ich brauche mehr und mehr Farbe, um mich aus dem Haus zu trauen. Das tue ich weder oft noch gerne. Denn in die Augen anderer Menschen zu sehen, das ist fast so schlimm, wie in den Spiegel zu sehen. Die Schaufenster, die Pfützen, so viele Glasflächen- und alle Spiegeln. Und man sieht mir die Müdigkeit so sehr an und die Trauer, die Tränen. Die Tränen, die ich nicht weine. Die ich nicht mehr habe. Die Trauer, die ich nicht fühle. Und doch tut es weh. Und doch kostet es Kraft. Und doch ist es so furchtbar anstrengend. Das alles. Ich will nicht. Ich will schlafen. Nur schlafen und nicht aufwachen müssen. Wegrennen, ohne zurückkommen zu müssen. Irgendwann wieder aufrecht gehen können. Lachen können. 

Nicht diese Art von Lachen, die so entsetzlich viel Kraft kostet. Nicht dieses Lachen, von dem meine Mundwinkel schon ganz ausgefranst sind. Nein, nicht dieses Lachen. Lachen, das nicht weh tut. Das ehrlich ist und von Herzen kommt. Wo ist mein Herz? Ich kann nicht finden. Kann nicht suchen, denn der Weg ist zu weit. Und in mir ist es kalt, so kalt, ich halt sie nicht aus, diese Gletscher. Der Weg ist zu weit. Kann nicht finden. Nur das Nichts, und es höhlt mich aus. Kann nicht mehr. Kann nicht gehen, aber muss. Es muss gehen. 

Und wieder der Versuch. Und wieder ein Tag. An den ich nicht glaube und der schon verloren ist. Wie diese Nacht. Und die davor. Und davor und jede Nacht. Jede Nacht. Und jede Stunde der Blick auf die Uhr. Wann hört das auf? Wann fing das an? Wann geht die Angst? Wann kommt der Schlaf? Warum? Warum darf ich nicht schlafen, warum? Es macht mich kaputt. Es bricht meine Beine. Kann nicht gehen. Es muss gehen. Wie geht es? Nicht weiter.

Traumlos. Wortlos. Angstvoll. Alptraum. Haltlos. Dunkel. Fang mich auf. Halt mich fest. Lass mich bloß nie wieder los. Lass nicht los. Halt mich fest. Und ich falle. Ohne aufzuschlagen. Wohin? Will ich atmen, bis ich Luftholen kann. Lass mich atmen. Oder ertrinken. Aber eines von beidem. Ich will nicht. Ich bin nicht. Nicht ich, bin dazwischen. Bin verloren. Bin gestrandet, ohne angekommen zu sein. Wo ist das, zuhause? Nicht hier, nicht bei mir, nicht in dieser Stadt. Lass mich frei, ich will rennen, von hier weg und vielleicht auch vor dir. Wie vor jedem, ich will nicht mehr reden.Will schweigen, bis es wieder Worte gibt. Bis es wieder mehr in mir gibt, als die Leere, die nicht der Rede wert, die unbeschreiblich allumfassend mich einlullt in Messerstiche. Die zu Watte werden. Und Schmerz zur Gewohnheit.

Und ich kann nicht schlafen. Und ich kann nicht schlafen. Und liege wach voller Tränen, die ich nicht mehr weinen kann. Die Zeit vergeht grausam. Wann fing das an? Wann hört das auf? Wann hört das auf? Wann? Wann? Wann? Will ich schreien und kann nur flüstern. Ich bin stumm geworden, kann gar nicht mehr reden. Selbst wenn ich wollte, wäre es nun zu spät. Und ich schmeiße Jahre meines Lebens auf den Abfallhaufen, den niemand von meinen Schultern nimmt. Tag für Tag jeder Schritt, jeder Blick auf dem Weg ohne Ziel. Will ich fliehen und komme doch nicht weiter. Und renne und renne, aber immer im Kreis. Kann nicht fort von hier. Und täglich wache ich auf und bin noch immer hier. Warum? Wache ich auf, ohne geschlafen zu haben. Aber Träume, Träume hatte ich mehr als genug. In diesen endlosen Nächten. Wenn das Leben ist, warum hatte ich dann keine Wahl? Wenn das alles ist, was ist dann nichts?

Und dann das immergleiche wiegehtesdir, vielleicht ist das schon der Grund, warum ich mit der Zeit angefangen habe, Menschen zu meiden. Und auch das ist nichts Neues, nicht wirklich, das ist schon drei Jahre so. Oder vier. Das hat angefangen, als ich aufgehört habe, die Jahre zu zählen. Sie zählen zu können. Und irgendwann da, als ich jedes Gefühl verlor. Für Zeit und für mich. Als ich lieblos wurde und fast ebenso liebensunwürdig. Als ich begonnen habe, mich zu hassen und kann nicht mehr aufhören. Und kann doch schon lange wieder essen, kann satt sein und Hunger haben, aber fühlen, das nicht. Aber mich nicht hassen, das nicht. Und damals habe ich mit Leben aufgehört und seitdem nicht wieder angefangen. Und habe mit Sterben begonnen, damals. Aber auch dafür hat meine Kraft nicht gereicht. Kann nicht sterben. Kann nicht leben. Kann nicht schlafen. Und weiß schon gar nicht mehr, was davon ich mir am meisten wünsche. 

Und habe Nächte voller Angst. Was ist, wenn ich nicht glücklich werde? Wenn es damals falsch war, überlebt zu haben? Wenn ich doch nicht leben kann, warum hatte ich dann keine Wahl? Warum würde ich am liebsten aus der Badewanne nicht wieder auftauchen müssen? Warum wünsche ich mir nichts sehnlicher, als den nächsten Tag nicht lebendig zu überstehen? Warum bin ich damals nicht verhungert? Warum habe ich so entsetzliche Angst? Warum tut mein Hals vor Tränen weh, die erst nach Tagen anfangen aber nächtelang sind? Warum ist da diese Leere noch immer? 

Ich weiß, ich weiß. Irgendwann hatte ich die Wahl, irgendwann. Und habe geirrt. Und habe geglaubt, nichts sei schlimmer als der Schmerz. Und habe mein Herz eingefroren. Und Wände gebaut. Ich weiß, ich weiß, damals hatte ich die Wahl. Und habe mich für Taubheit entschieden. Für Taubheit und Eis. Ja, ich weiß. Ich habe geglaubt, es wäre besser so. Warum? Ich würde alles dafür geben, einen Tag zu fühlen. Von morgens bis abends. Ich will raus aus dieser Wertlosigkeit. Und ja, das war gelogen, denn was ich will, das weiß ich ja gar nicht. Denn da ist diese Wand, diese Wand, dieses Weiß, das mich abschottet von mir. Und ich komme nicht durch. Da ist nichts mehr von mir. Da ist nichts. Ich bin leer geworden. Weil ich tatsächlich irgendwann geglaubt habe, das ein Nichts besser ist, als dieser Schmerz. Und hatte die Wahl und habe geirrt. Und habe mich ausgesperrt und bin nun gefangen. Zwischen Gletschern und Selbsthass. Mir ist kalt. Mir ist so kalt.

Und dann die Leere. Und danach Tränen. Und danach die Leere. 
Und hier und da Angst. Und Verzweiflung, und Schmerz und ich weiß nicht mehr, warum. Das liegt in mir verborgen. Und manchmal, da glaube ich ja selber, dass es schon irgendwie geht. Weil es ja muss. Es muss ja. Und geht doch nicht. Und Stille und Stille. Und diese Stille wird Tag für Tag anstrengender, und gelogener. Bis es zusammenbricht. Wenn das Eis zu Tränen schmilzt, die nicht mehr aufhören. Und ich weiß nicht mehr, wozu das gehört. Es kostet so viel Kraft, diese Wände aufrecht zu halten, es ist schwer und kostet mehr als ich habe, kostet Leben, kostet mich. Und ich kann ja doch nicht anders. Und irgendwann früher, da hatte ich eine Wahl. Und ich weiß es. Und habe mich geirrt. Kann nie mehr zurück. Kann niemals mehr fliehen. Und bin Schuld. An mir. Es tut mir leid.

Stille und Verzweiflung. 
Wann fing das an? Wann hört das auf? 
Ich will wieder atmen können, oder ertrinken. Aber eines von beidem.

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