Donnerstag, 29. September 2011

Ich bin müde vom vielen Kämpfen.

So weit, wie ich rennen will, tragen mich meine Beine nicht mehr. 
Diese zittrigen, unnützen Dinger. Diese wackeligen Stelzen, die schon lange verlernt haben, aufrecht zu gehen. Die unter meinem Gewicht schon fast zusammenbrechen. Und ich bin weich, nicht nur in den Knien. Und müde vom vielen Kämpfen. So schwach, ich bin so schwach geworden. Und jeden Tag aufs Neue. Trage ich im Kopf das Wielangenoch. Und kämpfe mit nichts als diesen leeren Händen. Um oben zu bleiben. Nicht das Oben in den Sternen, das Oben mit den Nasenlöchern über der Wasserkante.

Mittwoch, 28. September 2011

Wer schickt mir Sonne?

Eine Sonnenblume sieht vorsichtig durch den Schlitz des Briefkastens. Gehüllt in braunes Papier. Es lag kein Zettel dabei. Kein Name, keine Erklärung. Wortlos, unerklärlich. Nur das Sonnengelb der Blume. Und der starke, grüne Stengel. Kraftvoll, mühelos. Der Sommer ist noch nicht vorbei. Er ist in jedem dieser Blütenblätter. Eingefangen, aufgefangen. Keine Briefmarke. Es kann nicht lange her sein. Du musst vor meiner Tür gestanden haben. Als ich nichtsahnend in der Küche saß. Den Rücken zum Fenster. Den Tee in meiner Hand. So wortlos. Eine Sonnenblume. So leuchtend gelb. Wie warme Sonnenstrahlen in das Grau dieser Stadt. In mein Dunkel. Und wärmen mich bis unter die Haut.
Wortlos. Unerklärlich. Wer? Wer schickt mir Sonnenstrahlen?

Erstgespräch

"Sie haben viel Stärke in sich. Sie haben eine Anorexie überstanden, darauf können sie stolz sein. Glauben Sie mir, Sie können auch das schaffen. Wenn ich Ihnen das noch mitgeben darf: Glauben Sie an sich."

Montag, 26. September 2011

deinen Blick im Nacken
in den Händen mein Herz
und es war nackt bis auf die Worte
vorsichtig, zögerlich

bis deine sanft geschwungenen
innerlich verbitterten
risslos und doch zerrütteten
Lippen

zertraten, als ob es Füße wären
im Marschschritt deine Armeen
ich stehe unbewaffnet
zerreißt ein Schuss
die Stille, meine Rippenbögen

sie knirschen und knistern
beim Bersten wie Eis

Freitag, 23. September 2011

"The clouds methought would open and show riches
Ready to drop upon me, that when I waked
I cried to dream again."
Caliban in The Tempest - Shakespeare, Act III Scene 3
Heute war mein erstes Gespräch.
Es werden noch viele folgen.
Ich habe ein gutes Gefühl.
Ich sehe einen Weg.
Hoffnung.

Donnerstag, 22. September 2011

In meiner Welt allein.

Ich bin in die Stadt gegangen. Ein wenig geflohen, ein wenig gerannt, ein wenig hin- und ein wenig weggesehen. Und bin blind und taub durch die Straßen gewandert. Und bin manchmal fast gestolpert, fast gefallen, ja, manchmal bin ich so entsetzlich wackelig durch und durch. Von den Beinen bis in die Gedanken hinein. Dann bin ich über den weiten Platz und unter der Sonne hindurch getaucht. In das Meer aus Gesichtern und habe mein eigenes dabei wohl verloren. Dann über die Schienen, dann über die Straße, dann unter dem Bogen. Und ich bin geflohen, gehend, wegsehend, wegwehend. Und bin nur zum Luftholen in der Kabine kurz wieder aufgetaucht. Rot, Violett und Blau, das waren nie meine Farben. Und übrig bleibt nur das Schwarz und das Weiß. In meiner Hand, an meiner Haut, in meiner Welt. Und mein Gesicht war so blass, im Spiegel habe ich es kaum erkannt. Dann raus, dann weiter, ohne Ziel, aber mit Musik. Und deinen Worten im Ohr, egal wie laut, sie waren immer lauter, immer lauter, immer weiter. Wie Wasser in der hohlen Hand. Wie Wasser. Und meine Hand ausgestreckt, eingefaltet, am Ende immer leer. Wie Wasser. In einer anderen Welt. Wo man nichts retten kann. Ich bin wie Wasser. Wie Wasser. Wo ist mein Meer? Und die Stille. Und die Distanz. Die Stille. Zwischen mir. In mir. Zwischen mir. Und dir. Und der Welt. In manchen Momenten ist das fast unsichtbar. Die Stille. Unerbitterlich. Eisern. Und in anderen ahnt man, das hinter der Wand nichts besser ist. Aus Glas nur, es ist nur Glas, nur Glas, nur Glas .. . Ich will schreien, so laut und dieser Schrei, der soll bis in deine Welt. In die Welt der anderen. Diese stillen Nächte. Die Stille und die Weite. Der Schrei soll all die Wände durchbrechen. Ich will sie alle niederreißen. Jedes Glas, jede Wand und diese unendliche Leere. Ich will durch all dieses Weiß. Zu mir, zu dir, zur Welt. Und meine Tränen spiegeln sich in dem Glas. Ich seh dich verschwommen. Dich festhalten, dich irgendwie in dieser Welt halten. Und ich sehe mich um. Gesichter, Menschen, Fragen, Münder, Lippen. Augen, Wind, geschlossen, Meer. Wie Wasser. Nur wohin? Versickernd, verlaufen, verschwommen. Verrinnend. Mein Schrei erstickt. Kein Ton über diese Lippen aus Eis. Über diese Gletscher. Über mich. Kein Ton. Ich renne und renne. Kein Ton. Kein Ton durch diese Stille.

Mittwoch, 21. September 2011

And if the perfect spring is waiting somewhere - just take me there.

"Into these twisted months I plunge without a light to follow
but I swear that I would follow anything,
just get me out of here."
Bright Eyes - If Winter Ends

Dienstag, 20. September 2011

Zittergedankengewitter.

In mir ist es unruhig. Ich sehe raus, ich sehe auf meine Hand. Draußen wehen Blätter, hier drinnen meine Finger. Unruhig hin und her, auf und ab. Einen Satz zu schreiben kostet höchste Anstrengung und mindestens vier oder fünf Anläufe.  Irgendwo in meiner Brust ist irgendetwas, oder vielmehr ist nichts. Meine Hand zittert, mein Herz zittert, ich zittere. Ganz leicht nur, fast unmerklich. Nicht zu übersehen. Mein Fuß wankt unschlüssig auf und ab. Auf den Beinen stehe ich nur ganz wackelig. Es geht mir nicht schlecht. Es geht mir nicht gut. Mein Kopf ist ganz voll. Und eigentlich ganz leer. Ich zittere. Innerlich. Äußerlich.

"Anna, deine Hand zittert."
"Oh, was, oh, stimmt."
"Anna, ist alles in Ordnung?"
"Ja, sicher, wieso?"
"Weil du so unruhig bist."
"Bin ich das?"
"Dein Bein."

Ich zittere. Das waren deine Worte gewesen. Und ich habe den Tee in meiner Hand gehalten. Und getrunken. Und mich leise abgewendet. Ganz stumm habe ich in meinen Tee geblickt. Und du in deinen. Und dann hast du mich angesehen. Und ich habe mein Bein angesehen. Habe versucht es still zu halten. Und mit einer Hand ist es doch wieder passiert. Dann hatte ich Blut an den Fingern. Denn ganz unmerklich, so ganz unmerklich habe ich wieder fast Verheiltes aufgekratzt. Heute bist du nicht da. Heute zittere ich allein. Und denke an deine Worte. Ganz leise. Ganz sacht. Und wie ich versucht habe, es zu verbergen. Und es nicht geschafft habe. Nicht einmal einen Abend lang. Und du hast mich angesehen, ganz mitleidig. Und ich, ich habe gezittert. Mit abgewandtem Gesicht. Und habe meine Haare über meine Augen fallen lassen. Und den Schatten über meinen Mund.

"Anna, ich würde dir gerne helfen. Und wenn du mal wieder Zeit hast, ehrlich, ich freue mich. Ich bin so erleichtert, dich endlich mal wieder zu sehen. Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich habe schließlich drei Wochen lang nichts von dir gehört."

Ich zittere. Ich zittere. Meine Knochen schlagen aneinander. Klackern leise über die Tastatur. Mein Herz pocht atemlos. Die Gelenke knarzen leise. Leise und stetig. Mein Fuß hält nicht still. Ich halte ihn still. Halte mich still. Atemlos. Zittere ich innerlich weiter. Kann nicht sagen. Nicht sagen. Ist das Angst? Ist das Stille? Weiß nicht. Ich weiß nicht. Ich merke nur. So unruhig. Gedanken kaum zu fassen. Springen. Von Ort zu Ort. Sehnsucht. Und dann ein Zucken. Nur dieses Ziehen. Sehnsucht. Ich bin unruhig. Nicht mehr und nicht weniger. Und das so sehr, dass es fast wehtut. Aber es geht mir nicht schlecht. Ich würde nur gerne wieder atmen. Luft holen. Doch dazu komme ich nicht.

"Wie ist es eigentlich für dich, unterwegs zu sein?"
"Inwiefern?"
"Jetzt, wie geht es dir?"
"Ich weiß nicht. .. Ich bin.. unruhig. Es ist schwer. Es ist anstrengend."
"Was ist anstrengend?"
"Ich.. ich weiß nicht."

Meine Hand. Wandernd, taumelnd, stolpernd. Meine Gedanken mehr Blitze als Worte, als Sätze, als Texte, als Sinn. Zitternd, wie ich. Das Loch in mir ist wieder da. Heute ganz groß. Kurz unter dem Herzen. Kurz über dem Bauch, auf den ich hören soll. Eingeklemmt irgendwo zwischen den Lungenflügeln. Antreibend, forttreibend. Sehnsucht. Atemlos, Atemnot, Stillstand. Ich zittere. Ich zittere. Ganz plumb meine Finger. Ich schnappe nach Luft. Mit den geöffneten Händen fast mehr als mit dem Mund. Unzusammenhängend. Mein Bein schlägt auf und ab. Mein Knie zittert. Zittert. Ich zittere. 

"Du siehst heute wieder so schick aus. Ach, das sieht so schön aus, ehrlich. Ich freue mich so, dich endlich mal wieder zu sehen. Ach, Mensch, du siehst fabelhaft aus!" 

Meine Lippen fest geschlossen. Mein Gesicht bedeckt. Noch immer traue ich mich nicht ungeschminkt aus dem Haus. Das Loch weitet sich. Zieht sich wieder zusammen. Zieht mich zusammen. Ich habe vergessen, wie man weint. Ich schnappe nach Luft. Mein Gesicht verzerrt sich, verirrt sich in seltsamen Masken. Ich starre in den Spiegel mit meinen leeren Augen. Und den blassen, schmalen Lippen. Tag für Tag werde ich weißer. Wird meine Haut kahler. Manchmal habe ich Angst. Morgens, wenn ich in den Spiegel schaue, manchmal. Weil es so leblos aussieht. Leichenhaft. Und jeden Tag blasser. Ich schlafe. Eigentlich. Ich schlafe. Und wache auf. Und mein Kopf ist schwer. Mein Kopf ist leer. Mein Kopf ist beides. Alles ist manchmal vielleicht einfach zu viel. Dann vergesse ich einfachste Sachen. Dann fallen die Dominosteine, Stück für Stück für Stück. Bis alle Stricke reißen. Marionette. Bruchstücke. Mein Bein zuckt. Schnitt. Leere. Wie taub. Ich sitze. Ganz aufrecht. Und halte den Tee in meinen Händen. Wie heute, wie damals, wie immer. Presse ich die Finger an die Tasse und die Tasse an den Mund. Fahre durch meine Haare. Meine Lippen sind ganz trocken. Meine Haut auch. Spannt so sehr.

"Du schläfst nicht besonders gut, oder?"
"Ich schlafe wieder durch, meistens."
"Ja, aber du schläfst nicht gut,.. oder? Wachst du erholt auf?"
"Ich wache müde auf."
"Man sieht es dir an, weißt du? Morgens, man sieht es dir an, 
wie schwer es ist."

Und ich lächel und nicke. Und ich zittere. Und habe vergessen, wie man weint. Ich japse nur, ganz leise. Nach Träumen und Luft und dir vielleicht. Sehnsucht. Und bin ganz wackelig auf den Beinen. Kann mich kaum halten, schwanke. Ich will nicht. Mein Gesicht krümmt sich wie mein Rücken, so sehr. Meine Haut reißt fast. Sie ist fast wie Papier, so weiß. Irgendetwas fehlt. Farbe, vielleicht. Oder Leben. Oder Tränen. Ich zittere. Wann habe ich das letzte Mal geweint? Gar nicht lange her. Ein paar Tropfen. Erstickte, einsame. Zu irgendeinem Lied in irgendeiner Nacht. Und davor? An irgendeinem Tag zu irgendeinem Bild. Manchmal vor Scham und manchmal vor Hass. Aber immer nur dieses erstickte Krächzen. Bei dem man sich ganz zusammenzieht. Aber nicht zusammenbricht. Bei dem man fast fällt. Aber sich nicht fallen lässt. Irgendwann, irgendwie. Alles verschwimmt. So lange und so allumfassend. Bis nichts bleibt in mir. Außer dem Zittern und dem "Ich weiß es nicht". Tränenlos. Nur noch nach Luft schnappend. Atemlos, Stille, Nichts. Ich zittere. Sehnsucht.

Und dieses Loch in mir, manchmal trägt es deinen Namen.

[Auszüge aus Gesprächen mit M., S., und V.]

Hoffnung und Mirtazapin.

Die letzten Tage waren angenehm.

Gestern bin ich zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten mal wieder Rennen gewesen. Und es war wunderbar. Außerdem will so ein Mielitz-Trikot auch gezeigt werden. Und da das im Normalfall immer wie eine Demontage unseres ersten Torwartes wirkt und das gewiss nicht meine Absicht ist, war der Zeitpunkt natürlich perfekt. 
Nun ja, wie dem auch sei.

Eigentlich wollte ich ja nur mal kundtun, dass es auch gutes aus meinem Leben zu berichten gibt. Insbesondere die letzten zwei, drei Tage. Sicher, das morgendliche Aufwachen hat noch immer etwas von Wiederauferstehung nachdem man von einem Laster überrollt wurde. Die Kopfschmerzen und dass ich mich dann immer erst einmal wie gerädert fühle, das zähle ich aber alles zu den Nebenwirkungen meines Medikamentes. 

Und die andere Wirkung meines Medikamentes sind da schon deutlich angenehmer: Ich schlafe wieder. Die letzte Nacht war wieder eine eher zerstückelte, aber ich habe davor auf eine Reihe von Nächten zurückblicken können, in denen ich relativ zusammenhängend geschlafen habe. Ich wache immer noch manchmal nachts auf. Ja. Schon. Ich habe immernoch manchmal Probleme damit, einzuschlafen. Dennoch ist der Unterschied zu vorher gewaltig. Und seitdem ich das Medikament nehme, habe ich keine Angstattacke mehr gehabt. 

Auch bin ich nicht mehr zitternd und bebend nachts aufgewacht. Es gibt sie noch, die Albträume. Aber sie sind nicht länger mehr als das, als Träume, als Spukgespenste - die enden, wenn man aufwacht. Und das ist so verdammt viel wert. Ich muss nicht mehr nachts meine Beine umklammern, wenn ich plötzlich panische Angst habe. Ich weine mich nicht mehr in den Schlaf. Und ich schalte nicht von Panik geschüttelt das Licht an, aus Angst, wirklich inmitten von Kakerlaken zu sitzen oder von Maden oder ach, was weiß ich alles. Und wenn ich aufwache, dann war es alles nur ein Traum. Nur ein Traum. Und es hallt nicht mehr endlos in mir nach. Ich muss nicht mehr meine Füße umklammern, nur um zu wissen, dass es sie noch gibt. Es ist so viel besser, jetzt.

Und dass ich schlafen konnte, dass ich rennen gehen konnte, dass ich Klavier spielen konnte, dass ich mal wieder seit langem Lesen konnte. Das ist so wundervoll.
Und das musste einfach mal gesagt werden.

Ich bin noch nicht da, aber ich kann den Weg endlich sehen.
Ich bin unterwegs. Und die letzten Tage haben mir gezeigt, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Und das ist so viel Wert. Ich habe wieder Hoffnung. Nicht fremde, sondern eigene.
Meine ganz persönliche Hoffnung, wiedergefunden. Schön.

Montag, 19. September 2011

"Ich fühle etwas,
das
vielleicht
nicht da ist -

Vielleicht
fühle ich etwas
nicht,
das da ist - "
Flederzombie

Sonntag, 18. September 2011

Die Liebe, die einem niemand geben kann. Die eigene.

Das gute Mädchen.

Ich war immer beliebt. Von klein auf das gute Mädchen. Das, was nie Ärger gemacht hat. Das, was immer lieb war. Das, was denen ihres Alters immer ein Stückchen voraus war. Das kleine Mädchen, was den anderen im Kindergarten Märchen vorgelesen hat. Was immer hilfsbereit war. Und das man nie herumwüten gesehen hat. Das, was den anderen Kindern die Schuhe zugebunden hat. Das, was schon rechnen konnte. Das, was immer fröhlich war. Was immer gelächelt hat. Und für jeden Spaß zu haben war. Ich war auch das Mädchen, das im Kindergarten schon mehrere Ehemänner zur Auswahl gehabt hätte. Ich war hilfsbereit. In meinem Grundschulzeugnis stand außerdem noch "aufgeschlossen" und "selbstbewusst" und "bei ihren Klassenkameraden sehr beliebt".

Ich war ein liebes Kind. Vielleicht war es auch das, was du so an mir gehasst hast. Denn ich hatte nie mit dieser Welt zu kämpfen, die dir so hart und ungerecht erschien. Ich hatte nie Probleme, bin nie angeeckt. Mir fiel so vieles leicht, wofür du hart kämpfen musstest. Und mir fiel vieles einfach in den Schoß, was du nie bekommen hast. 

Ja, ich war lieb. Und geweint habe ich immer allein. Denn ich war nicht nur offen. Es gab auch diese andere Seite, die ungeteilt bleiben musste. Die geweint hat, die schwach war, die Angst hatte. Die zu stolz war, ihre Angst zuzugeben. Die klaglos hingenommen hat, was man ihr gab. Die sich nicht getraut hat um etwas zu bitten. Die nicht nehmen wollte. Die Angst hatte, etwas zu brauchen. Etwas brauchen zu müssen. Die nicht fragen konnte, die nicht sagen konnte, wenn ihr etwas gefehlt hat. Aus Angst, undankbar zu sein und gierig. Die Angst hatte, wütend zu werden. Die nie so werden wollte. So laut, so wütend, so voller Hass auf die Welt. Die Angst hatte, schreckliche Angst. Die geweint hat. Die sich gefragt hat, warum sie nicht gut genug sein konnte. Warum sie nie genug war. Die nicht verstehen konnte, dass es nicht an ihr lag. 

Die einfach zu klein war. Zu klein und zu wehrlos. Hilflos. Man könnte auch sagen: loyal. Denn ich habe nie Hilfe geholt. Ich hätte welche bekommen. Habe nie geschrien. Habe nie gepetzt. Habe nie zugegeben, dass ich Angst hatte. Und dass es mir wehtat. Dass ich Angst hatte, vor dir und deiner ungebremsten Wut. Vor deinem Gebrüll. Vor deinen Worten. Vor deinen groben Schritten in den derben Springerstiefeln. Vor deinen rauen Händen. Und deiner Verachtung. Nein, das habe ich nie zugegeben.

Ich wollte nie schwach sein. Und was ich am meisten gefürchtet habe, war, meine Würde zu verlieren. Nicht mit erhobenen Haupt wieder aufzustehen. Irgendwann mein Gesicht zu verlieren. Irgendwann nicht mehr über deinem Hass zu stehen. Ja, vermutlich habe ich das nie getan. Aber ich habe nie zugegeben, dass es mich doch verletzt hat. Dass deine Wut mir mehr wehtat, als ich jemals hätte sagen können.

Und manchmal denke ich, es ist genau dieser Hass, den ich heute noch manchmal fühle. Dass es dein Hass ist, von damals, der noch immer in mir lebt. Ich habe mich nie getraut, laut zu werden. Ich habe die Explosionen gesehen, ich wollte nie so sein. Ich kann noch immer nicht wütend sein. Es ist manchmal noch immer wie damals. Ich werde nicht wütend, ich werde schuldig.

Mit ein bisschen mehr Selbstbewusstsein wäre ich vielleicht wütend geworden. Mit ein Stückchen weniger Liebsein hätte ich vielleicht zurückgeschrien. Hätte geschrien: "WARUM SCHREIST DU, DASS DU MICH UMBRINGEN WILLST, ICH HABE DIR ÜBERHAUPT NICHTS GETAN!" Oder ein schlichtes: "ICH HASSE DICH AUCH!" Aber das habe ich nicht. Nicht einmal gedacht. Nicht ein einziges Mal. Nur leise geschluchzt. Ich habe dir geglaubt. Ich habe nicht dich gehasst, sondern mich. Ich habe dir geglaubt. Ich habe mich schuldig gefühlt. Habe mich schuldig gemacht. Mit ein wenig weniger Scham hätte ich vielleicht mit Heulen angefangen. Aber das hätte ich nicht gedurft. Schwach zu sein. Das durfte ich nicht. 

Ich hatte zu viel Angst, was dann passieren würde. Wenn du wüsstest, wie weh es mir tut. Wenn du das gewusst hättest. Was wäre dann passiert? Hättest du aufgehört? Aber hast du wirklich nicht gesehen, wie sehr mich das verletzt hat? Hast du? Hast du? Hast du nicht? Hast du nicht sehen wollen? Hast du nicht sehen können? Warst du blind? Vor Wut oder vor Hass oder vor Verzweiflung? Weißt du, warum du mich so gehasst hast? Warum war ich nicht liebenswert? Nicht deine Liebe wert? Und warum bin ich heute nicht meine Liebe wert? Ist es mein Hass oder ist es deiner? 

Nein, heute kann ich es nicht mehr trennen. Und wütend sein, dass ist etwas, das ich erst mühsam erlernen muss. Und was aus der Zeit geblieben ist, ist vielleicht nur diese Verachtung. Deine Verachtung, die nun meine Verachtung ist. Deine für die Welt, meine für mich.

Und heute, wenn alles gut ist. Wenn die Vergangenheit schon lange nicht mehr in Träumen erscheint. Wenn ich schon lange nicht mehr daran denken muss. Und schon längst keine Tränen mehr da sind. Habe ich doch noch zu kämpfen mit diesen Überbleibseln. Diesen kleinen Resten, die sich irgendwo in mir festgesetzt haben. Die kleinen Stiche, die immer noch da sind. Du schreist schon lange nicht mehr durch meine Welt. Und auch deine Gewalt ist lange Vergangenheit. 

Ja, wenn ich dich heute sehe, du bist ein wundervoller Mensch geworden. Und dennoch bleibt irgendetwas. Du sagst, du erinnerst dich nicht mehr daran. Vielleicht ist es besser so, vielleicht ist es gelogen. Vielleicht willst du die Zeit ebenso vergessen wie ich. Die Erinnerungen verfolgen mich längst nicht mehr.

Und ich bin noch immer beliebt. Um Liebe musste ich tatsächlich nie kämpfen. Und ich bin noch immer das süße Mädchen, das jeder gerne hat. Das jedem gerne hilft. Das immer lächelt. Das Freunde hat, die auch da wären, wenn sie es nicht täte. 

Nein, heute ist alles gut. Nur ich bin noch wie damals. 
Du hast irgendwann aufgehört mich zu hassen, ich nicht.

Heute ist alles gut.

Aber diese Zeit hat mich verändert. Und das ist, womit ich heute kämpfe.

"You say you want to know her like a lover
And undo her damage, she'll be new again
Soon you'll find that if you try to save her
It will lose her anger
You will never win"
The Pierces - Three Wishes

Donnerstag, 15. September 2011

Den leichten Weg.

Ich bin immer den leichten Weg gegangen. Den, der mir zufiel. Und mir ist vieles zugefallen. Ich hatte viel Glück. Aber vor Allem habe ich meine Wünsche ignoriert. Habe sie gebogen und gebrochen. Bis ich sie verloren habe. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur nicht aus dem Herzen. Da ist noch immer diese unerfüllte Sehnsucht. Unerfüllt, ungefüllt, leer, ich. 

Und wenn ich dann da sitze und nicht weiß, warum ich unglücklich bin, obwohl ich heute doch alles habe. Dann vielleicht, weil dieses "alles" gar nicht mein "alles" ist. Dass das hier nicht meine Träume sind. Ich habe mich nie getraut, an ihnen festzuhalten. Ich hatte immer Angst, sie zu zerdrücken, mit meinen ungeschickten Händen. Hatte Angst, sie zu verlieren. Weil es so weh tun würde. Weil Liebe weh tun würde. Und noch mehr, sie aufgeben zu müssen.

Und dann habe ich angefangen, stattdessen fremde Träume zu leben. Habe angefangen, mich zu belügen. Und genommen, was ich bekam. Und bin den leichten Weg gegangen. Und habe aus Angst zu scheitern meine Träume geleugnet. Meine Wünsche geleugnet. Meine Liebe geleugnet. Und was ich verloren habe, das habe ich ja auch nie gewollt. Und woran ich gescheitert bin, das war nie mein Ziel. Und was ich nicht bekommen konnte, habe ich nie geliebt. Und dann habe ich mich verloren.

Ich habe verlernt, was es heißt, etwas zu wollen. Denn all meine Träume, die habe ich nie weitergedacht. Die habe ich nie auch nur angedacht. Sondern habe mich blind und taub gestellt und weggesehen und versucht, woanders hin zu sehen, um gar nicht erst wissen zu können, was ich verpasse. Und habe meinen Träumen ein Ende bereitet, noch bevor es einen Anfang gab. Und habe begonnen, ein fremdes Leben zu leben. Weil ich meines nicht verlieren wollte.

Und dann bin ich aufgewacht, als alles wertlos war. Und ich vergraben lag, unter diesem Berg fremder Träume. Und habe kaum noch atmen können. Und wäre fast erstickt. Und lag da, die falsche Hand in meiner. Und habe mich nicht wiedererkannt. Und habe keine Bedeutung finden können, in diesem Leben, was nicht meines zu sein scheint. Und wollte endlich aufhören mit Lügen. Ich will nicht lügen. Nicht dich belügen. Nicht mich belügen. Ich habe verlernt, was Wahrheit bedeutet. 

Ich habe meine Liebe verloren. Den Mut verloren. Mich verloren. Ich bin einen leichten Weg gegangen, der in Wirklichkeit gar keiner war. Weil es nicht meiner war. Weil ich diesen Weg nicht lerne zu lieben. Weil ich mich nicht daran gewöhnen kann. Weil ich dieses Leben nicht lieben kann. Weil es nicht meines ist. Weil es keines ist. Weil erfüllte Träume nicht glücklich machen, wenn es nicht die eigenen sind. Und ich noch immer nichts habe. Nein, in Wirklichkeit sind meine Hände noch immer leer. Denn was in ihnen liegt, ist so wertlos. So wertlos für mich. Und diesen Müllberg, den muss ich wohl erst wegwerfen, bevor ich erlernen kann, meine Hände wieder auszustrecken. Muss wohl erst loslassen, bevor ich wieder in Richtung Himmel greifen kann. Und wenn ich am Ende nur in die Luft fasse.

Ich will wieder wollen. Ich will wieder lieben. Ich will es wenigstens versuchen. Ich will wieder meine Träume träumen. Ich will wieder meine Wünsche wünschen. Ich will wieder mein Leben leben. Und wenn ich daran scheitere.

Ich will leben.

Mittwoch, 14. September 2011

Alive

"A kingfisher in flight
You'll rise above the sea of doubts
Into a world full of clouds
Alive"
Azure Ray - Sea of Doubts

Dienstag, 13. September 2011

Gestern Abend

Auf dem Weg zur Bushaltestelle wäre ich fast umgedreht. Vor Angst, vor Scham, vor Selbsthass, vor dieser Müdigkeit, die mit Schlaf nicht zu bändigen ist. Ich habe den Bus verpasst und die Absage-SMS schon vorbereitet. Es war ein Kampf, dort stehen zu bleiben, den nächsten zu nehmen statt sofort wieder aufzugeben, umzudrehen. Ich hatte zu kämpfen mit mir, mit dieser Stadt, mit den Gesichtern und den Erinnerungen. Auf dem Weg zu euch.

Und dann haben wir durch die Nacht geschrien, all die Wut, die jeder von uns in sich trug. All die Schreie, die wir nie geschrien haben. Für all die Hilfe, die wir nicht bekommen haben. Und all die Kämpfe, die wir nie gekämpft haben. Und standen da, auf dem Berg in der Nacht. Vor dem Mond und den Wäldern. Und haben die Angst gesehen, die irgendwo zwischen uns gesessen hat. Und in jedem von uns. Und haben sie fortgeschrien, bis nichts mehr in uns war außer der Freiheit. 

Und haben gelacht und gelacht und so tief, 
so tief habe ich lange nicht mehr gelacht.

Und auf dem Weg zurück haben wir geredet über all die Dinge, über die wir sonst immer schweigen müssen, all das Ungesagte, für das wir uns manchmal schämen und für das uns manchmal die Worte fehlen. Über die Wut und die Angst, die wir uns nicht wirklich eingestehen können. Und Träume, an die wir uns nicht trauen, unser Herz zu hängen. Und Geschichten, die nie Geschichte geworden sind, sondern noch immer lauern und warten und uns in einsamen Nächten noch immer um den Verstand bringen. Über unausgesprochene Wünsche und ungeteilte Lasten auf den Schultern von jedem von uns. 

Und haben gelacht und gelacht.
Und dann wart ihr da und ihr wart ihr und ich war ich. 
Und das war schön.

Es war mein schönster Abend seit Langem. 

Danke.

Samstag, 10. September 2011

Zwischen Schrei und Stille.

Es ist so leer. So leer, hier. Im Kopf, im Bauch, im Herz.
Diese Leere ist mir unerträglich. Sie ist nicht wahr, sie ist nicht wirklich, sie ist allumfassend. Und sie erstickt jeden einzelnen meiner Gedanken. Und jedes Gefühl. Ich habe sie geschluckt, zusammen mit all den anderen Erinnerungen. Und dann hat sie angefangen an mir zu nagen. Mich auszuhöhlen, ganz langsam nur, unmerklich, aber mit Geduld.  Sie schnürt mir die Luft ab. Ich kann kaum atmen und muss jedes zweite Wort innehalten. Und falle mit jedem Atemzug tiefer in mich hinein. Und falle und falle. In den Abgrund, der sich irgendwo zwischen Herz und Lunge eingenistet haben muss. Und dort gewachsen ist, mit jedem Tag tiefer wurde. Ich kann den Boden nicht sehen. Ich stehe in leeren Hallen. Mein Echo so weit. Will ich schreien und schreien. IST HIER NOCH IRGENDETWAS? Und kann kaum flüstern. Und irgendwas muss in mir sein, außer dieser Stille. Irgendwas muss doch noch sein, oder? Und was ist, wenn nicht? Ich falle und falle. Mit jedem Atemzug tiefer. Komme niemals auf. Schlage niemals auf. Und zersplittere dennoch. Ich falle auseinander. Und zerbreche, Stück für Stück. Weil nur dieses Nichts in mir ist. Und mich langsam einhüllt, ganz ausfüllt, ganz aushöhlt. Bis ich werde wie es. Langsam zu diesem Nichts. Ich falle und falle. Ich müsste die Knochen schon sehen um zu wissen, dass da noch irgendetwas in mir ist, das mich hält. Dass dieser Fall ein Ende hat. Dass ich noch da bin. Noch nicht verschwunden. Dass da etwas ist, das mich auffängt. Und dass ich, egal wie tief ich beim nächsten Ausatmen in mich falle, nicht ganz verschwinde. Dass dieser Abgrund ein Ende hat. Irgendwo ein Ende hat. Dass es ein Ende hat. Ich will, dass es ein Ende hat. Ich falle und falle. Implodiere.
Es ist so leer. So leer, hier. In mir.

Samstag, 3. September 2011

Wahllos

Hätte ich noch einmal die Wahl,
ich hätte mich anders entschieden.

Hätte ich noch einmal die Wahl,
ich hätte mich für mich entschieden.

Hätte ich noch einmal die Wahl,
ich hätte nie mit fühlen aufgehört.

Hätte ich noch einmal die Wahl,
heute wüsste ich, dass es schlimmeres gibt als den Schmerz.

Hätte ich noch einmal die Wahl,
heute wüsste ich, dass diese Leere schwerer ist als all die Tränen.

Hätte ich noch einmal die Wahl,
nur einmal die Wahl,
nur noch einmal die Wahl.
Ich hätte mich für mich entschieden.

Heute weiß ich, dass diese Leere schwerer ist.

Aber heute habe ich keine Wahl.
Heute habe ich keine Wahl.


"I wake up, in the middle of the night,
My senses screaming, something's not right,
There's a shadow on the wall,
Doesn't look like my shadow at all,
I wake up, in the middle of the night,
My senses screaming, something's not right,
There's a shadow in my bed,
I'm not alive, but I'm not dead."
Yoav - Wake up

Donnerstag, 1. September 2011

Zwischenstand

Wegrennen und schreien.
Irgendwohin.
Nicht zurückehren müssen.
Ich zerfalle vor lauter Hierbleiben.
Falle und falle in mich hinein.
Weil nichts in mir ist, das mich hält. Das mich auffängt.
Ich falle und falle.
In den bodenlosen Abgrund in mir.
Ich kann nicht mehr.
Ich kann nicht schreien.
Ich kann nicht gehen.
Ich kann nicht aufhören, alles zu überlächeln.
ICH WILL HIER RAUS! RAUS AUS MIR!
ICH HALT MICH NICHT MEHR AUS!
Möchte ich schreien und flüstere. Leise und kraftlos.
Nicht zu dir und nicht zu irgendjemandem.
Ohne Ziel und ohne Adresse.
Ich will nur hier weg.
Nur hier weg.
Ich kann nicht mehr.
Nicht weg von
hier und mir.