Donnerstag, 5. Mai 2011

Ich bin wieder da

Das Leben geht weiter und das ständige Suchen nach Ausreden hat wieder angefangen. Es ist alles beim Alten, von den zerzausten Haaren, dem chronischen Schlafmangel bis zu den Wunden, die ich Tag um Tag erfolglos versuche zu überschminken. Mein Gesicht wird immer blasser und die Lippen immer schmaler. Meine Mundwinkel hängen manchmal so sehr herab, dass ich ernsthaft erwäge wahlweise Politikerin oder alt zu werden. Oder beides, aber dann kann ich die Schuld für die schlechte Rente und die Falten in meinem Gesicht ja niemandem weiterreichen. Ja, es ist wieder alles beim alten. Ich stehe morgens zu spät auf, und es fühlt sich  trotzdem wie 3 Stunden zu früh an. Mindestens. Um halb 7 ist die Welt noch grau, und der Sommer ist auch schon wieder emigriert. Würde ich auch, wenn ich noch könnte. Aber ich war schon immer gegen blinden Aktivismus, und am Morgen gegen alles außerhalb meines Bettes. Bleibe stattdessen also hier und genieße die Eintönigkeit bzw. halte Traditionen aufrecht. Ich stehe morgens auf, ohne dass es wirklich Sinn macht. Sinn ist hierbei gleichbedeutend mit irgendetwas Reizvollem, das das Aufstehen weniger zwanghaft gestalten würde. Sonnenstrahlen wären beispielsweise aufmunternd. Aber da eben dieser Sinn fehlt bleibt das Aufstehen fast so sinnlos, wie alles, was danach kommt. Reden, zum Beispiel. Mit Menschen, widerlich, so etwas. Besonders, wenn es nette Menschen sind, eine Gruppe, der ich mich aufgrund bereits erläutertem Schlafmangel absolut nicht zugehörig fühle. Griesgrämige Menschen sind da einfacher, man kann sich nicht den Vorwurf machen, ihnen die Laune verdorben zu haben. Dazu sind die Vorraussetzungen dieser Menschen zu schlecht, der Unterschied zwischen vorher und nachher fällt einfach zu wenig auf. Bei gut gelaunten Menschen ist er jedoch beinahe so deutlich, wie in den Zeitschriften. Vorher mit Augenringen und weißem T-Shirt vor weißem Hintergrund und mürrischem Blick, nachher ein sonnengelbes Top, perfekt geschminkt und lächelnd auf einer Sommerwiese. Nun ja, nur eben andersherum. Das Lächeln war, bevor ich kam. Ich kam, sah und nölte. Ja, es ist alles wie immer. Ich stehe auf, stelle fest, dass es zu spät ist. Verlaufe mich in dem Irrglauben, dass das bedeuten würde, ich hätte noch 5 min. Nach 5 min die Ernüchterung: Heißt es nicht. Ich springe auf, finde spontan nur Anziehsachen, die weder meiner Laune noch den Wetterbedingungen entsprechen. Hadere, verzweifle, merke, dass dafür ebenfalls die Zeit nicht reicht. Kämme mir stattdessen die Haare. Hadere, verzweifle und komme zu dem Schluss, dass Schönsein ein Luxusgut ist, ebenso unerreichbar wie Zeit und Ruhe am Morgen. Denke, dass es mir egal sein kann, was die Leute von mir denken, und ahne bereits, dass ich das in ein paar Stunden in einem ruhigen Moment vor einem gut ausgeleuchteten Spiegel anders sehen werde. Stelle fest, dass ich aber jetzt keine Zeit habe, mir darüber Gedanken zu machen. Will losgehen und muss noch dreimal umkehren, um doch die Hälfte noch vergessen zu haben. "Keine Zeit", rufe ich beim herausgehen (bzw. -rennen bzw. -stolpern bzw. -fallen bzw. Haare kämmen bzw. Jacke zuknöpfen), meine neue Verabschiedung. Einfallslos und unemotional, aber es gibt in einem nicht mal vollständigem Satz meine Stimmung und mein Redebedürfnis wieder. Ohne die Notwendigkeit völlig überschätzter Satzglieder wie Subjekt und Prädikat. Als ich die Haustür verlasse, sehe ich auf der anderen Straßenseite einen Bus. Meinen Bus. Beschließe, das morgendliche Selbstüberschätzung ein Segen ist, dass meine Sprintfähigkeiten eh unterschätzt werden, und dass keiner glauben sollte, dass ich morgens unmotiviert wäre. Während ich mich so selbst anfeuere, transformiere ich, multitaskingfähig, wie ich nun mal bin, meinen Tea to Go in eine wohltätige Spende an Blumen, Straßendreck und meine Hose. Amnesty International wäre besser gewesen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg bzw. in meinem Fall: Wenn man sehr bemitleidenswert zerzaust beim Rennen wirkt, wartet sogar der Busfahrer. Ich keuche armselig stark, als ich den Bus betrete. Zähle von nun an auch Sportlichkeit zu den Luxusgütern. Die Blicke dieser anderen Lebewesen meiner Gattung erinnern mich daran, dass mir die Meinung anderer doch nicht egal ist. Beim genaueren Nachdenken stelle ich fest, dass auch meine Meinung nicht viel wohlwollender ist. Der Platzmangel des überfüllten Busses zwingt mich zudem zum ausgiebigen Bewundern meines stilistischen  Meisterwerkes im Rückspiegel. Wäre ich Picasso, ich würde meine Haare für kubistisch, mein Gesicht für gespenstisch und meine Kleidung für kontrastreich halten. Insgesamt also künstlerisch wertvoll. Stoße jedoch offensichtlich in meiner direkten Umgebung auf wenig Kunstverständnis. Wünsche mir mehr Toleranz und wenigstens Sonnenbrillenpflicht für Menschen, die dazu neigen, andere Menschen seltsam anzustarren. Und das mit einem Blick, der sich tief in meine Seele eingraben würde, wenn ich die nicht auch auf dem Küchentisch hätte liegen lassen. So jedoch nervt mich der Blick einfach. Der Blick, die Welt. Stelle fest, dass diese Einstellung mir zu einem noch jämmerlicheren Aussehen samt trotzigem Kinderblick verhilft. Finde diese Hilfe unnötig. Denke über Hilfe nach. Denke an Werbungen, die Frauen mit Sprachfehler enthalten. Will gerade an  stärkere Durchsetzung besserer Grammatik appellieren, da fällt mir ein, dass das nicht überzeugt, wenn dieser durchaus richtige Gedanke von jemandem geäußert wird, der morgens über verschiedene Mh-Laute kommuniziert. Lasse dieses Unterfangen. Sehe meine Mission als gescheitert an und suche im Übereifer sofort ein neues Projekt. Aber seit der Geschichte mit der Werbung, die mich über eine lange und unübersichtliche Assoziationskette zu anderen Frauen in der Werbung geführt hat, will mir nicht aus dem Kopf gehen, zu welch Kreativität rundum künstliche Blondinen neigen, wenn es um das Merken von 6-stelligen Telefonnummern mit 3 Nullen geht. Und zu welch grässlich fietschender Stimme. Und schon überdenke ich meine morgendlich aufgestellte These, mein Wecker sei das grausamste und ungerechteste Geräusch der Welt. Ich komme zu dem weisen Entschluss, man müsse so etwas immer in Relation sehen und korrigiere daher zu "ein Geräusch, nur unwesentlich weniger lieblich als Vogelgezwitscher und Grillenzirpen". Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich Vogelgezwitscher unerträglich und Grillengezirpe abartig finde. Oh, und Lebewesen im allgemeinen. Zumindest alles, dass die gleichen Dinge atmet, wie ich. Tiere, Menschen. Ich entdecke erstaunt, dass ich mich zu Pflanzen hingezogen fühle. Frage mich, ob das ein Spontanausbruch von Asexualität oder von Plantophilität ist. Bemerke, das Denken am Morgen mir nicht gut tut. Und dass das einen erweiterten bzw. toleranteren Begriff vom Denken erfordert. Fühle mich dumm und hoffe inständig, dass das nicht die sagenumwobene einfache Wahrheit ist.
Glaube nun an gar nichts mehr, nicht an den Sommer, nicht an die Wettervorhersagen, die ich grundsätzlich ignoriere, nicht an den Wecker, den ich absichtlich überhöre, und nicht an den Terminplaner, den ich aus Faulheit lieber gar nicht erst öffne. Ich komme zu dem Schluss, dass die Welt ein unwirtlicher Ort ist. Wäre ich Christ, ich würde ihn für die Strafe Gottes halten. Bin ich aber nicht. Halte die Welt dennoch für eine Strafe, ich weiß nur noch nicht von wem. Beginne nun, verstrickte Verschwörungstheorien zu knüpfen, die rachsüchtige Kindergartenfeinde und verhasste Diktatoren enthalten. Und Lehrer und Wecker und Daniela Katzenberger. Frage mich, womit ich das alles hier verdient habe. Denke zurückblickend über den Morgen nach, und finde, dass Aufstehen eine dämliche Entscheidung war. Muss leider feststellen, dass ich morgens überdurchschnittlich oft überdurchschnittlich dämliche Entscheidungen treffe. Versuche nun, die Welt zu verfluchen, nur um festzustellen, dass mein Zorn längst nicht so strafend und allgegenwärtig ist, wie der Gottes bzw. von Pia, nachdem ich ihr aus gut begründeter Rache einmal die Puppe geklaut habe. Meine giftigen Blicke versickern im Boden und sind dort fast so willkommen wie der Earl Grey von vorhin. Strahle plötzlich vor Entzücken, wenn ich daran denke, wie vielen Pflanzen ich heute morgen schon geholfen habe.
Doch, ich bin ein guter Mensch.
Helfen kann so schön sein. Jedenfalls ohne Verona Feldbusch.
Und Leben kann so schön sein. Jedenfalls ohne Daniela Katzenberger.

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