Samstag, 11. Juni 2011

Klavierunterricht

Ich sitze da und kann meine Hände einfach nicht bewegen. Mein Handgelenk kennt keine Entspannung. Es liegt steif und schwer auf der Tastatur. Die Töne klingen hölzern und nicht nach Musik. 
Meine Finger wie die Hämmer unter den Tasten. 
Mechanischer Anschlag. Gefühllos und kalt.
Ich kann nicht loslassen. 

"Mach dein Handgelenk doch mal locker! Lass mal bitte einfach zur Übung die Hand in der Luft fallen!"

Doch ich habe Angst. Meine Hand schwebt in der Leere. Hält mitten im Fall inne. Bleibt stehen. Fällt nicht. Es gibt einen Punkt im Leben, an den man keinen weiteren Sturz erträgt. Bin ich verbittert?
Meine Hand steht über der Taste. 
Bewegt  sich nicht. Berührt nicht das Elfenbein. Kein Ton.
Verklemmte Stille. Berührungsangst. Ich will nicht laut sein, ich will verschwinden. Ohne jeden Klang. Und wenn ich die Tasten berühre, dann ist das nur laut und schrill.  

"Versuch es nochmal! Merkst du, wie schön das klingt, wenn du lockerer bist?"

Doch es klingt nicht schön. Es klingt nicht.

"So richtig loslassen, so richtig locker sein fällt dir schwer, oder? Naja, manche Sachen kann man ja auch nicht ändern. Aber merkst du, wie viel besser das klingt?"

Ja, manche Sachen bleiben, ob man will oder nicht. 
Werde ich mich je wieder fallen lassen können?
Je wieder vertrauen können, ohne jede Angst?

"Guck doch mal, ich gebe dir jetzt mal meinen Arm. Du darfst damit machen, was du willst, siehst du? So locker muss dein Arm sein!"

Ich kann das nicht.
Ich kann nicht. 
Ich habe Angst.
Ich will nicht laut sein und schrill. 
Ich glaube, ich möchte lieber nicht sein. 
Darf ich das? Darf ich gehen?
Das ist keine Musik.
Es sind nichtmal Töne.
Wieder liegt jeder Finger auf seiner Taste.  
Doch als ich die Tasten drücke, kommt kein Laut heraus.

"Da ist doch gar keine Kraft dahinter. Mehr mit  dem Arm arbeiten. 
Das ist , weil euch  das so antrainiert wurde, diese Zurückhaltung. Aber Klavierspielen, das ist nicht nur die Hand. Das muss der ganze Körper sein!"

Mein ganzer Körper. Das ist zu viel!
Ich bin doch alles, was ich hab'. 
Der Einsatz ist zu hoch. 
Ich kann nicht. 
ICH HABE ANGST!
Wovor?
Zu verlieren.
Zu verlieren!
Davor, davor habe ich Angst.
Was zu verlieren?
Mich, vielleicht.
Zu fallen, vielleicht.
Ich bin doch.. ich bin doch..
alles, was ich hab'.

"Du darfst nicht so ängstlich spielen! 
Mehr Mut! Mehr Kraft!"

Woher?
Ich wünschte, ich könnte das.
Laut sein, ohne mich zu schämen.
Doch ich schäme mich, obwohl ich doch leise bin.
Kein Ton. Keine Musik.
Ich bin die Stille.

"So ohne jede Kraft kann das doch nichts werden. Das wird doch keine Musik!"

Keine Musik.

Ich möchte aber lieber nicht sein.
Sag mir, darf ich das?
Darf ich gehen, ohne jeden Klang?

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