Freitag, 24. Juni 2011

Nachtspaziergang.

Die Sorgen der Anderen verfolgen mich wie die Autoscheinwerfer hinter mir. Ich gehe nach draußen, um Kälte zu atmen. Durch die Straßen, die nass sind und unter jedem Schritt rauschen. Durch Vierecke suche ich Bilder. Ich muss ein Klicken abwarten, bis ich wieder scharf sehen kann. Und nochmal Klicken, dann reiße ich Blitze in die Leere. Ich fange den Himmel und finde den Mond in deinem Fenster. Wie er neongelb von der Decke hängt, so hell, dass er mich noch hier draußen blendet. Ich bin Licht gar nicht mehr gewöhnt. "Bist du eigentlich depressiv?"
Ich laufe, und renne manches Stück, bis meine Beine zu sehr zittern. Dann wische ich die Flecken aus meinem Gesicht und das verlaufene Schwarz. Bis ich wieder tränenlos bin und fast glücklich wirke, wenn ich lächel. Ein Kopfnicken. Ein lautes Lachen. Es ist alles gut. Alles gut. Mir geht es gut. Allein durch diese Stadt, die ich schon so sehr gehasst habe, manchmal. So wie ich die Welt gehasst habe, manchmal. Menschen sind anstrengend. Die Lügen liegen irgendwo hinter den Federwolken, die ich aus dem Putz der Häuser reiße. Meine Gedanken im Laternenlicht so hässlich. "Hast du eigentlich darüber nachgedacht, noch einmal in eine Klinik zu gehen?" 
Die Luft gefriert auf dem Weg zur Lunge. Mein Herz klopft manchmal bis in mein Ohr. Die Straßen elendlang, kling, klang. Und dann Stille. Und Autobrausen. Und der Regen, der durch den Boden fällt, fast ohne Geräusch. "Ich sehe das ja schon länger. Hast du mit jemandem geredet?" Meine Lippen fest aufeinander. Die Einfahrt. Scheinwerfer wie Sterne. Ein Bild. Ich zähle zwölf Blicke hinter mir. Und brauche dreiundzwanzig Versuche, bis meine Hand endlich stillhält. Die Autos, die langsamer fahren. Der Mann, der mein Motiv sein will. Die Laternen haben in jedem Spiegelglas eine andere Farbe. Nur das Schwarz, das bleibt das Selbe. In jedem Haus und auf jedem Weg. 
"Es gibt so Menschen, die sind einfach grundsätzlich melancholisch." Und morgen wird der Biomüll abgeholt. Der Geruch von Frucht- und Tierleichen liegt schon in der Luft. Und sonst nicht viel, außer ein paar einsamen Stimmen, die irgendwo lachen. Ich glaube, das muss sehr weit weg von mir sein. Ich fange Licht in Punkten zu Flächen zu Farben zu Bildern und nehme es mit nach Haus. Wozu noch Worte? "Depressionen muss man ernst nehmen. Vielleicht wäre es besser, wenn du dir noch einmal jemanden suchst." 
Das Rascheln in den Häuserecken. Und graue Katzen immer nur nachts. Ich werfe Jahre im Vorübergehen in den nächstgelegenen Abfalleimer. Mein Leben zwischen den Sekunden. Es ist doch alles schon gesagt. "Du siehst immer so fertig aus, wenn ich dich morgens sehe." Tag und Nacht verschwimmen in der Müdigkeit zu einer grässlichen Grimasse. Ich liege ausgespuckt zwischen den Pfützen und warte. Doch der Dreck unter meinen Fingernägeln ist eingebrannt. So wie all diese Namen, die ich aus meinen Büchern reißen kann, aber nicht aus meinem Leben.
"Aber abgenommen hast du nicht, oder?" Keine Sorge. Keine Sorge. Das ist doch meine Medizin. Man überlebt so vieles gegen seinen Willen. Ich gehe an Fenstern vorbei und kann weder hin- noch wegsehen. Das Essen füllt nicht die Leere. Ich köpfe Vorgartenblumen mit Überlänge. Die Hecken sind nach mir auf Grundstückmaße normiert. Ein Schritt vor den anderen zu setzen, ohne umzufallen. 
Auf Bordsteinkanten balancieren mit geschlossenen Augen. "Ich hatte auf Borderline getippt." Hoffen, hinzufallen, im richtigen Moment, wenn das Auto schon nicht mehr Bremsen kann. Ich wander zu meinem Herzen und verlaufe mich dabei in einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit. Es ist windig und nass, mir ist nicht mehr und nicht weniger als kalt, ein bisschen und mein Kopf tut weh. Ein ruhiger Moment und drei Seitenstraßen weiter. Bergauf, landab, die immergleichen Krüppelbäume auf Baumleichenstützen. 
Und vor mir und hinter mir und von hier an bis zur nächsten Straßenlaterne liegt die Dunkelheit. Und irgendwo dazwischen denke ich an das letzte, was mich zum Weinen gebracht hat.  
"Wie geht es dir eigentlich?"  
Das weiß ich doch schon lange nicht mehr.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen